
"SJO"
Daten der Sparte Tonträger / Musiker / Bilder
CD: Cassandra Wilson — Belly Of The Sun
Label:
Blue NoteLabel-Nummer:
7243 5350 7220Aufnahmedatum: 2002
Aufnahmeort: New York
Tonträger: 1 CD
Cassandra Wilson hat sich auf eine Reise in ihre Vergangenheit begeben. Sie fuhr ins Mississippi Delta und hat sich dort von den Eindrücken ihrer Heimat treiben lassen. In einem alten Eisenbahndepot in Clarksdale hat sie dann ihr Studio errichtet, ihre Band dazugeholt und diese Aufnahmen gemacht, am heissesten Ort von Amerika - ihrem "Belly Of The Sun". War Wilsons letzte CD "Traveling Miles" ein Tribut an ihr Vorbild Miles Davis, so ist die neue CD ihr Dankeschön an ihre Heimat und an die zahlreichen musikalischen und persönlichen Einflüsse, die darin verwurzelt sind, und in denen Wilson letztlich verwurzelt ist. Sie sagt selbst, dass vieles davon bei den Aufnahmen plötzlich wieder gegenwärtig wurde. Es ist ihr gelungen, dies einzufangen und durch die 13 Songs dem Hörer zugänglich zu machen. Der Blues mag der Ursprung sein, aber Wilson erkundet auch dessen zahlreiche Nebenarme und Zuflüsse. Afrikanische und südamerikanische Wurzeln, Jazz und Pop, R&B und Gospel, alles ist da, und doch nie als Blaupause sondern als espritstiftendes Elixier in den Venen dieser Musik. Glanzlichter gibt es viele, im Grunde genommen dreizehn. Cassandra Wilson singt gelöst und locker. Nichts wirkt bemüht oder aufgepfropft. Mit dem 81-jährigen Pianisten "Boogaloo" Ames schwingt sie sich fast träumerisch durch das Blues-Duett "Darkness on the delta". Spirituell und erdig wird es in "You gotta move", nur mit Gitarre und Backgroundchor. Engstirnigen Puristen haut sie u.a. ein einfühlsames "The weight" von The Band und ein feinfühliges "Shelter from the storm" von Bob Dylan vor die Füsse. Starke Interpretationen von Stücken, die nur auf diese Interpretin gewartet zu haben scheinen. Ungewohnt beschwingt und wie befreit beendet Wilson die CD mit einem nicht einmal zweiminütigen "Hot tamales" von Robert Johnsen. Sie zeigt einmal mehr, dass stilistische Zwangsjacken keine Chance haben, wo Kreativität sich seinen Weg gegen alle Widrigkeiten sucht. Es gab in den vergangenen Jahren nur gut alle drei Jahre eine neue Platte von Cassandra Wilson. Diese kreative Bedächtigkeit demaskiert die gestylte Perfektion jener Vokaljazzplatten, die eigentlich eher Pop-Platten mit Jazzkolorit sind. Cassandra Wilson ist auf dieser Platte noch weniger Jazzsängerin als sie es bisher war. Sie ist "schlicht" Sängerin, und vielleicht diejenige, die zur Zeit am spannendsten Geschichten zu erzählen versteht. Wer Ohren hat, soll hören. Unbedingt.