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28466 / Daten zuletzt bearbeitet von: SJO allgemein
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CD:  Les Diaboliques — Live At The Rhinefalls
Infobild
Label: Intakt Records
Label-Nummer: CD 059
Aufnahmedatum: 1994
Land: CH
Aufnahmeort: Schaffhausen
Helvetica: Hat Bezug zur Schweiz
Tonträger: CD
Liner Notes Verfasser: Werner Lüdi
Archiv-Objekte
CD-04171
Musiker:
NameLandInstr.
Irène SchweizerCHp,
Maggie NicolsGBvoi,
Joëlle LéandreFRb,
Tracks:
Nr.Titel
1-1Mercurial Drama
1-2Almost Straight Ahead
1-3Rheingefallen
1-4Tongue Talking
1-5Diverse Moods' Wings
1-6Vals Diaboliques Iii
 
Musik ist auf Langzeitwirkung angelegt. Hier zeigt sich die Verantwortung für die Musik: dass aus der Fülle des künstlerischen Angebots eine überlegte und überzeugende Auswahl getroffen wird. Als Folge entstehen Schwerpunkte, die die unterschiedlichsten künstlerischen Haltungen erfahrbar machen. Um die gesamte Intention zu vermitteln, ist eine Verfolgung über Jahre notwendig. Dieser Einsatz für die Musik entfällt als Gewinn für die Hörerinnen und Hörer. Jüngstes Beispiel und dritte Einspielung des furiosen Trios: Les Diaboliques. «Live at the Rhinefalls».
Diese Live-CD ist zweifellos die stärkste der «wilden Senoritas». Ein purer irdischer Glücksfall: ein Schmetterling auf einem schlafenden Python, der gerade einen Junghirsch verschlungen hat. Aufgenommen in Irène Schweizers Heimatstadt Schaffhausen. Voilà das Heimspiel als vollendete Tatsache.Ich selbst war leider nicht zugegen, erinnere mich aber mit grösstem Vergnügen an ihr Spiel in meiner Ecke, in Sedrun, im Bündner Oberland. Da waren sie schlicht himmlisch. Von allergrösster Gelassenheit, bei höchster Konzentration. Allein Maggie, sie müsste eigentlich das neue englische Synonym für «magic» sein D war tiefgründig und geistvoll wie ein Gläschen Lagavulin (gestatte mir, ein wenig Werbung für einen erstklassigen Single Malt aus Maggies Heimat zu machen), dann wieder bittersüss wie englische Frühstückskonfitüre.
Irène spielte ein hinreissendes Solo. Da war alles drin, von Jelly Roll Morton über Art Tatum, Bud Powell, Thelonious Monk bis hin zu Irène Schweizer «in her own sweet and sour way». Während des ganzen Solos hatte sich Maggie flach hingelegt. Als Irène endete, stand Maggie tänzelnd auf und flüsterte mit ausgebreiteten Armen: «Refreshed!». Joëlle schuftete schwer, hatte dabei aber die Leichtigkeit des kalabresischen Maurers, der fröhlich vor sich hin singt. Schliesslich, das triumphale Finale. Maggie, Joëlle und Irène verliessen die Bühne Ð auf allen vieren kriechend. «Entre les hommes il y a un tel serieux» (Joëlle Léandre).
Ich höre in die Musik dieser CD hinein. «Erst eine besiegte Schwierigkeit wird in der Kunst zur Schönheit» (Tschaikowsky). Diese Schönheit empfinde ich als einen Raum, farbig und sinnlich, mit Tiefe und Bewegung wie das oszillierende Cover der Malerin Rosina Kuhn (übrigens: die dritte schöne Arbeit für ihre Freundinnen). Für Augenblicke gibt es nichts anderes. Die intensive Erfahrung eines Moments, das Gefühl des völligen Aufgehobenseins in der Zeit, das kein Bewusstsein für die Vergangenheit und die Zukunft zu kennen scheint, gehört zu vielen, zu allen (?) Schönheitsempfindungen.
Etwas, das die Ausstrahlung von Schönheit hat, bringt in mir etwas zum Klingen, von dem ich nachher, wenn es vorbei ist, sage: Da war ich ganz bei mir und gleichzeitig ganz in der Welt, zuerst und für einen Augenblick mit stockendem Atem, dann vollständig eingenommen und versunken, staunend, mitschwingend, erregt, ohne Anstrengung und auch ruhig, gebannt vom Zauber, der mich trifft. Gefühle der Freude. Gelassene, ungestörte Schönheit. Nichts ist vermittelt. Alles ist sich selbst. Ja, und es ist kraft- und humorvoll zugleich. Auch auf scheinbaren Nebenpfaden nicht der leiseste Hauch eines Zögerns oder hinderlichen Bedenkens, dass das freie Fantasieren etwa in die Irre führen könnte. Eben noch hier, dann da, dann dort, wechseln sie immer wieder mal die Richtung oder lassen sich von einem Einfall verliebt zum nächsten treiben, als ob jener der eigentliche Hauptstrom der Geschichte wäre. Oder das Rinnsal weitet sich unversehens zum Gewässer, der Fluss zum Delta das Delta zum Meer bis wir auf einmal erkennen, dass zum grossen Weltenozean hier alles drängt und auch die scheinbaren Abschweifungen nur Teile einer allumfassenden verschwenderischen Ausschweifung sind.