Der Jazz hat stets gern in allen möglichen Gegenden gewildert. Spiritual, Blues und Country, Schlager und Pop hat er ebenso für sich nutzbar gemacht wie die lokalen volksmusikalischen Traditionen, wo immer er auftauchte. In Deutschland ist es allerdings nur selten zu einer Symbiose von Jazz und Liedtradition gekommen. Dem will das Zentralquartett nun abhelfen. Seinen Namen verdankt es übrigens der ehemaligen DDR: 1984 änderten der Posaunist Conrad Bauer, der Pianist Ulrich Gumpert, der Altsaxophonist, Klarinettist und Flötist Ernst-Ludwig Petrowsky sowie der Schlagzeuger Günter Sommer den Namen ihrer Formation «Synopsis» in «Zentralquartett», um sich über Institutionen wie das Zentralkomitee lustig zu machen. Damals pflegten die vier Musiker, die zu den Wegbereitern der improvisierten Musik im Arbeiterund Bauernstaat gehörten, vor allem offene Formen. Nun aber nehmen sie elf deutsche Volkslieder als Ausgangsmaterial. Diese werden beileibe nicht nur «verjazzt» oder parodiert, sondern mit Witz und Liebe auf vielerlei Weise umgestaltet. Vom elegischen «Es fiel ein Reif» über eine Gospel-Groove-Version von «Dat du min Leevsten büst» bis zum für Maultrommel und Posaune gesetzten «König in Thule» reicht das Spektrum. Hier wird der Faden der Minnesänger, Herders und Arnim/Brentaiios weder musealisiert noch trivialisiert, sondern ideenreich fortgesponnen.
Manfred Papst, Neue Zürcher Zeitung, NZZ am Sonntag, 12.2.2006